Die GEFMA-Richtlinie 812: Raum-Vollkosten von therapeutisch genutzten Flächen in der Praxis

Kalkulation der
FM-Bereitstellungskosten

In den Jahren 2007 und 2008 berichtete der GEFMA-Arbeitskreis „FM im Krankenhaus“ über seine Arbeiten an der GEFMA-Richtlinie 812. Die Richtlinie stellt dem Krankenhaus DRG-gerechte Raum-VollkostenInformationen über die wesentlichen Funktionsräume eines Krankenhauses zur Verfügung.

Nach mehreren Jahren der Kooperation liegt dem Arbeitskreis heute unter anderem ein Benchmark-Vergleich der beteiligten 20 Kliniken vor, der im GEFMA-Benchmark-Report 2010 im Kapitel Gesundheitswesen in Auszügen bekannt gemacht wurde. ­Einige Klini­ken haben die gewonnenen Raum-Vollkosten-Informationen bereits gedanklich in ihre Planungs- und Controlling-Prozesse des Kerngeschäfts eingebunden. Ein Beispiel beschreibt ein Projekt der Kliniken des Bezirks Oberbayern (kbo).

Dieses Modell ist insofern neu, als dass für psychiatrische Kliniken der Pro­zess der tagesgleichen Entgelt-Ermittlung in Deutschland noch am Anfang steht. Die erforderlichen Planungen über Patientenauslastung, Raum-Bedarfe und auch die Entscheidungen für Neu- und ­Ausbauten (Raum- und Funktionsprogramme) müssen dennoch möglichst ­realitätsnah ge­troffen werden.

Die Kliniken des Bezirks Oberbayern sind ein Klinikverbund mit rund 5300 Mitarbeitern und über 3000 Betten und Plätzen im Bereich Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Neurologie und Sozialpädiatrie. Sie sind seit 2008 Mitglied im GEFMA-Arbeitskreis und von Beginn an an der Kostenerfassung beteiligt.

Zwar sind die Funktionsräume ei­nes Klinikums der Regelversorgung oder eines Universitätskrankenhauses mit der Raum- und Nutzungs-Struktur einer Psychiatrie nur bedingt vergleichbar. Das ist für die grundsätzliche Kosten­er­fassung aber kein Problem, weil Funk­tionsbereiche, die in psychiatri­schen Kliniken nicht vorkommen, als Raumgruppe nicht erfasst und bewertet sind (siehe Grafik 1 z. B. Kreissaal).

Die Kliniken des Bezirks Oberbayern haben mit Unterstützung der Dr. Odin GmbH ein gemeinsames Projekt zur Anwendung und Spezifizierung der Raum-Vollkosten-Systema­tik in der Fall- und Raum-Planung der Kliniken des Bezirks Oberbayern mit folgender Ziel­setzung erarbeitet:↓

Konzeptentwicklung: FM-Kosten-Anteil für einen Patienten in der Psychiatrie

Folgende wesentliche Schwerpunkte wurden mit der Konzeption behandelt und beantwor­tet:

 Strukturierung der Therapiefunktionen und der relevanten therapeutischen Räumlichkei­ten mit ihren Eigenschaften,

 qualifizierte Flächennutzungszeit je therapeutischem Raum und Patiententyp,

 Ermittlung der spezifischen Kosten pro Raum-Cluster und BGF,

 Kosten je Nutzungszeit und ausgewählter medizinisch induzierter Räumlichkeiten,

 FM-Gesamtkosten pro Patiententyp oder Einbindung in die Struktur der InEK – Matrix,

 Nutzen und Vorteile für die Kliniken des Bezirks Oberbayern.

Um diese These zur Kostenzuordnung von FM-Kosten auf den jeweiligen ­Patienten konse­quent und aussagefähig umsetzen zu können, wurde der vom Patienten genutzte Raum mit seinen spezifischen Raumkosten der jeweiligen Therapiesitzung zugeordnet.

Dabei wurde sehr schnell deutlich, dass auch in Bezug auf das „Produkt Raum“, wie in jeder anderen Kostenträger-Kostenstellen-Situation, gewisse Räume „produktiv“ sind und andere Räume als „nicht produktiv“ in der Deckungsbeitragsbeaufschlagung den „produktiven“ Räumen zugeordnet werden müssen. Das bedeutet: auch für die Räume in der Klinik werden Kunden-Lieferanten-Strukturen aufgebaut. Modellhaft wird der erarbei­tete Aufbau in Grafik 3 dargestellt.

Auf dieser Grundlage konnten  verschiedene Therapieformen und Zeiteinheiten für unterschiedliche Patientengruppen den jeweiligen thera­peutischen Räumen zugeordnet werden. Die Räume der Therapeuten, die zwar nicht für die Pa­tientenverweildauer direkt, aber für die vor- und nach­bereitenden Arbeiten der Therapeuten erforderlich sind, sowie Räume der unterstützenden Ein­rich­tungen (Verwaltung, soziale Dienste, Ver- und Entsorgung etc.) werden auf die „pro­duktiven“ Räume umgelegt (vgl. Grafik 4).
Aus dieser Zuordnung der Räume und der Erfassung der Raum-Vollkosten gemäß GEFMA-Richtlinie 812 ergibt sich pro Raum-Gruppe ein Vollkosten-Aufwand, der für eine weitere mathematische Formelverwendung als FMK (FM-Kosten pro m² BGF oder NF) ­ermittelt wurde. Spezifisch für psychiatrische Kliniken und deren Raumzu­ordnung im Vergleich zu Kliniken der Allgemeinversorgung ist die Tatsache, dass die therapeutischen Räume für die verschiedenen  Therapieformen (z.B. Einzel- oder Gruppentherapie)  in ­vordefinierten Zeiträume (z.B. Mo bis Fr 08:00 bis 17:00 Uhr) genutzt werden und zum anderen therapeutische Räume von einem bzw. mehreren Patienten gleichzeitig ­genutzt werden.

Für eine weitere Präzisierung der Raum-Nutzung wurden daher folgende Grundsätze verein­bart:

1. Zur Kalkulation wird hilfsweise die mittlere Verweildauer von 21 Tagen für eine stationären Behandlung verwendet. Innerhalb dieser Grundverweildauer ­bestimmt zum einen der Aufenthalt auf der Station (Pflege) und zum anderen die Anzahl und Dauer von diagnoseabhängigen thera­peutischen Anwendun­gen in Untersuchungsräumen und anderen therapeutischen Räumen den Tagesablauf des Patienten.

2. Die Ermittlung der typischen Jahresarbeitszeit des Personals in den entsprechenden Räum­lichkeiten der therapeutischen Funktionen wird mit 250 Tagen pro Jahr und 7 Stun­den pro Tag (1750 Stunden pro Jahr) angenommen. Dies dient der Abschätzung der ma­ximal möglichen oder potentiellen Flächennutzungszeit (pFNZ) in Stunden pro Jahr (Std./a) für den spezifischen the­rapeutischen Raum.

3. Mit Einbeziehung der FM-Kosten (FMK) der therapeutisch genutzten Räumlichkeiten und der potentiellen Flächennutzungszeiten (pFNZ) ergeben sich die Kosten je Nutzungszeit (KNZ) in € / m² Std. z.B. KNZ =416,-- € /m² a  x 1/1750 Std./a  =0,24 € / m² Std.

4. Bei der psychiatrischen Behandlung von Patienten sind teilweise Gruppen-Therapien zu beachten, so dass hier ein Faktor für die Gleichzeitigkeit (GN) zu berücksichtigen ist.

5. Unter Berücksichtigung der tatsächlichen therapeutisch genutzten Raum-Nutzflächen (NF thRn) in m², der Gleichzeitigkeit (GN) sowie der tatsächlichen Flächennutzungszeit (tats.FNZ) in Std. ergeben sich die Kosten pro Patiententyp (KPT) und therapeutisch ge­nutzter Raumfläche in €.

Aus dieser Darstellung und der Zuordnung der Nutzungszeiten für den jeweiligen Raum lässt sich dann der Flächenbedarf für den einzelnen Patienten raumgenau darstellen (vgl. Grafik  5). Über die Anzahl der Patienten ergibt sich somit die Flächenauslastung der bestehenden Kli­nikgebäude. Diese Zuordnung von „wirklich“ benötigten Raum-Zeiten hat dazu geführt, Engpässe an the­rapeutischen und Gruppenräumen durch Umfunktionierungen beheben zu können.

Die Zuordnung hat aber auch dazu ­geführt, dass sich die jeweiligen Nutzer „produktiver“ Räume über die Anzahl und Größe der erforderlichen „unproduktiven“ Räume erstmals Ge­danken machen. Denn diese verteuerten ihre „produktiven“ Räume. Das führte dazu, dass therapeutisches Personal kritischer mit Raumreserven umgehen und Sta­tions­bereiche sich zur gemeinsamen Nutzung entschließen.

Die dem therapeutischen Prozess angepassten Raumkosten für produktive und unproduktive Räume zeigen darüber hinaus den Effekt, dass der Flächenbedarf für die Neugestaltung von Stationen künftig unter präziseren Gesichtspunkten definiert werden kann als dies bisher über die Raum- und Funktionsprogram­me für Psychiatrien möglich war.

 

Fazit

Am Beispiel der Kliniken des Bezirks Oberbayern wird deutlich: Die Raum-Vollkosten-Be­trachtung, die der GEFMA-Richtlinie 812 zugrunde liegt, bietet den FM-Bereichen von Kli­niken bedeutende Steuerungs- und Optimierungsmöglichkeiten über den Haupt-Kostenfaktor Flächennutzung hinaus. Unsichtbare Leerstände werden sichtbar. „Unproduktive“ Räume werden als Kostenfaktor für den medizinischen Hauptprozess erkannt. Vorhaltekosten für kostenintensive Raumgruppen werden kalkulierbar und für die Kostenre­duk­tion im Kerngeschäft steuerbar gemacht. Anhand der Patienten-Planung (Fall-Mix-Pla­nung) kann ein Krankenhaus sehr präzise Aussagen zu Flächenbedar­fen und Raumerforder­nissen definieren und so zielgerichtet neu- und umbauen.

Aber: Das alles ist nicht allein Aufgabe und Steuerungsrad des FM-Bereiches im Kranken­haus. Hier sind medizinisches Controlling, Fall-Planung und Kostenstellen-Kostenträger-Strukturen gefordert, um diese bedeutenden Kosten­potentiale in der Infrastruktur eines Kran­kenhauses heben zu können.

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