Warum das mobile Arbeiten nicht nur eine moderne Technik braucht

Corona! …oder das Verlassen der Dockingstation

Mobiles Arbeiten ist nicht erst seit Ausbruch der Corona-Pandemie möglich. Die technischen Voraussetzungen wie ubiquitärer Datenzugang, Laptops, Smartphones und Headsets existieren schon seit Jahren. Mit 5G erfolgt gerade eine weitere Evolution des mobilen Arbeitens. Dann ist es möglich, wirklich überall auf Echtzeitdaten zuzugreifen. Alle Voraussetzungen für höchste örtliche und zeitliche Flexibilität sind also gegeben. Warum aber, sind Almhütte, Café oder Beachclub dann nicht längst etablierte Arbeitsorte?

Wir möchten die Beantwortung dieser Frage und einen darauf aufbauenden Blick in die Zukunft des mobilen Arbeitens mit einer kleinen Metapher beginnen, nämlich die der Pandemie aus Sicht unserer Laptops. Denn aus der Sicht von abermillionen Laptops ist Corona ein Befreiungsschlag. Ausgestattet mit allem was sie für ein mobiles, ungebundenes „Leben“ benötigen, waren sie vom ersten Tag ihrer Inbetriebnahme Gefangene ihrer Dockingstation. Angeschlossen an einem festen Platz auf dem Schreitisch. Zugeklappt, betrieben mit externer Mouse, Tastatur und Bildschirm. Reduziert auf das Dasein eines stationären PC! 
Und dann kommt Corona… Eins, zwei, los. Ausdocken und ab in die Freiheit, ab ins Homeoffice!

Moment einmal, Homeoffice? Bedeutet Homeoffice nicht auch Dockingstation, fester Platz, externe Mouse und so weiter? Wo ist denn nun der Befreiungsschlag? Wird dieser nicht insbesondere durch die Kombination der Wörter Home und Office verhindert? Warum Office? Wir sagen ja auch nicht Unternehmens-Office, Bahn-Office, Co-Working-Office, Hotel-Office, Café-Office oder was-auch immer-Office? Das Gute ist, unseren Laptops ist das egal, …solange sie Strom haben. Nein, es geht um uns. Denn in Wahrheit sind wir es, die ihre „Dockingstation“ verlassen haben.

Was können wir daraus lernen?

In erster Linie doch, dass wir zum Arbeiten eigentlich kein spezifisches Büro mehr benötigen. Wir müssen zum Arbeiten auch keinen täglichen Reiseaufwand betreiben. Wir können zuhause arbeiten, wenn es die Situation erfordert. Wir können auch wieder ins Büro gehen, weil wir dort einen sozialen Anlaufpunkt haben und Kollegen treffen. Wir können aber auch einen Ort zum Arbeiten wählen, an dem wir uns mit Experten anderer Branchen austauschen. Oder einen Ort, an dem wir uns besser konzentrieren können oder einfach kreativer sind.

Corona hat uns dazu gezwungen, unsere „Dockingstation“ zu verlassen. Und ja, es geht, wir können remote effektiv arbeiten, viel besser als gedacht. In der Folge schwimmen in Venedig plötzlich Delfine in glasklarem Wasser und die Inder sehen ihren Himalaja wieder, der vorher vom Smog verdeckt war. Es ist vieles möglich, wenn wir unsere Technik richtig nutzen und wir uns endlich von den selbstauferlegten Zwängen der Industrialisierung lösen.

Der Mensch im Fokus

Jetzt rückt der Mensch mit seiner 300.000 Jahre alten DNA, seinen humanen Fähigkeiten und seiner „Human ­Experience“ in den Fokus. Wir fordern unsrem Freiheitsinstinkt entsprechend immer mehr – örtliche und zeitliche – Flexibilität, Work-Life-Integration und somit die Bereitstellung von mobilen Arbeitsmitteln. Wir möchten selbst entscheiden können, wann, wo und wie wir arbeiten.
Wir bilden Aktivitätsmodule, bei denen wir viele vormals als Freizeit definierte Aktivitäten in den Arbeits­alltag einbeziehen – Aktivitätsmodule wie Konzen­tration, Erledigungen, ­Er­holung, Fort- und Weiterbildung, ­Kreativität, Sport, Gesundheit, Netzwerk und Kollaboration, die jeweils ein spezifisches Flächen- und Serviceangebot erfordern.

Diese Anforderungen stehen jedoch im Widerspruch zur bestehenden „Lagen-Monotonie“. Denn wir möchten nicht mehr in monokulturellen Bürostädten ohne jegliche urbane Infrastruktur arbeiten, aber gleichermaßen auch nicht mehr in monokulturellen Wohnstädten wohnen. Wir fühlen uns entsprechend unserer DNA am wohlsten in einem divers geprägten Umfeld mit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Durchmischung. Diese angeborene Form der Sozialkompetenz ist tief in uns Menschen verwurzelt und mitverantwortlich für die Überlebensfähigkeit ­unserer Spezies.

Dies gilt ebenso für die „Human Experience“, denn Menschen handeln und entscheiden erlebnisbasiert. Deshalb setzen sich erlebnisbasierte Produkte auch gegenüber praktischen Produkten durch – ganze Industrien wie die Touristik basieren auf diesem Prinzip.

Corona als Megatrend Booster

Die Menschen haben durch die Krise neue Werte gelernt, eben das Wesentliche, das worauf es ankommt. Menschen brauchen Menschen, Sozialkontakte, eine Wir-Kultur, globale Identität und vor Allem eine intakte Umwelt. Die Corona-Krise hat ein bereits vor der Krise begonnenes Umdenken massiv beschleunigt. Dieses Umdenken beschreibt das Zukunftsinstitut als Megatrend wie z.B. die Megatrends Urbanisierung, New Work oder Konnektivität:

Urbanisierung erfährt eine beschleunigte Umsetzung, indem die industrialisierungsbedingte Lagen-Monotonie zentral konzentrierter Metropolregionen durch die Entwicklung dezentraler, urbaner Quartiere abgelöst werden wird.
Urbane Quartiere, in denen es sich dank moderner Technik hochwertig leben und arbeiten lässt. Urbanisierung in diesem Kontext bedeutet die Entwicklung von urbanen Campi oder urbanen Quartieren, verbunden mit der Implementierung weiterer Trends wie Micro Housing, Urban Farming, Smartness, Co-Living, Urban-Manufacturing, Healing Architecture, „Cradle to Cradle“ und den Rural-Citys.

New Work wird durch die Krise auch in traditionellen „9 to 5“ Unternehmen salonfähig. Vertrauensarbeit und Output-basierte Führung haben sich in der Krise bewährt. Ortsungebundenes Arbeiten und die Integration ehemaliger „Freizeitaktivitäten“ in den Arbeitsalltag erhöhen die Lebensqualität und bilden den Nährboden für neue, kreative Ideen der Start Up Culture. Plattformen zur Vereinfachung des täglichen Lebens ge­winnen weiter an Bedeutung (Plattform­ökonomie) und boosten Trends wie Hub-Clubs, Co-Working, Flexible Offices, Talentismus, Diversity, Schwarm, Coopetition und Corporate Health.

Konnektivität wird vom Zukunftsinstitut als „der wirkungsmächtigste Mega­trend unserer Zeit“ bezeichnet.
Er ist Voraussetzung für neue Arbeitsformen wie Dezentrale-Zusammenarbeit oder Virtuelle-Kollaboration wie zum Beispiel im Homeoffice. Globale Vernetzung, Künstliche Intelligenz und Smart-­Devices ermöglichen erst Omni-Channeling, Teilnahme an Soziale-Netzwerken und die Verarbeitung von Daten ohne Ortsbindung. Freie Ortswahl wiederum bedeutet, dass Menschen sich auch die Orte, an denen sie arbeiten möchten, frei wählen können.

Arbeitsorte

Wie bereits eingehend in der Metapher beschrieben, ist das Homeoffice nicht der alternative Arbeitsort, sondern nur einer von vielen potenziellen Arbeitsortalternativen zum klassischen Büro. Viele Wohnungen bieten eben nicht die räumlichen Voraussetzungen, um konzentriert arbeiten zu können oder stören die Familie im Alltagsablauf, was auf Dauer soziale Konflikte verursacht. Und ja, auch die eingehend erwähnte Almhütte, das Café oder der Beachclub können als Arbeitsort Verwendung finden. Sicher nicht um eine „Exceltapete“ konzentriert zu bearbeiten, vertrauliche Gespräche zu führen oder um Tätigkeiten zu verrichten, die eine technische Infrastruktur benötigen. ­Dafür aber inspirierend zum Verrichten kreativer Tätigkeiten oder zum Verfassen und Beantworten von E-Mails.

Bereits etablierte Arbeitsorte wie das Co-Working Center, Working Lounges oder auch der ICE im Rahmen von Reisetätigkeiten, werden durch Corona weiter an Beliebtheit zunehmen und einen festen Bestandteil in unserer Arbeitswelt bilden.

Auch so genannte Hub-Clubs, das sind Gemeinschaftsbüros von Unternehmen, die nicht im direkten Wettbewerb zueinanderstehen, werden nach Corona zunehmen. Sie wurden in Anlehnung ans Co-Working erfunden, um qualifiziertem Personal auch außerhalb der Metropolen Arbeitsorte zur Verfügung stellen zu können, ohne eigene Büros mit eigener Corporate Infrastruktur und Corporate Identity vorzuhalten zu müssen. Mitarbeiter ohne geeignete Homeoffice Möglichkeiten bieten sie einen Arbeitsort ohne größeren Pendelaufwand leisten zu müssen. Sie werden bei gleichzeitiger Reduktion von Büroflächen an den großen Standorten, die klassischen Regionalbüros nach und nach ablösen und sparen den Unternehmen dadurch auch Immobilienkosten im größeren Umfang.

Fazit

Die Corona Pandemie stellt die Notwendigkeit des klassischen Büros in Frage: Ortsungebundenes Arbeiten hat sich etabliert und bewährt

 Es gibt keinen technischen oder kulturellen Zwang mehr ins Büro zu gehen. Die Gestaltung der Arbeitswelt wird Spiegel der Unternehmens- und Führungskultur (Fokus Mensch) und wichtiges Entscheidungskriterium zur Arbeitgeberwahl

 Schaffung der Möglichkeit zur intelligenten Nutzung digital vernetzter Infrastruktur (Smartness) als Voraussetzung für ortsungebundenes und selbst bestimmtes Arbeiten

 Führung-post-Corona ist ergebnisorientiert (Output-Driven Management Control) nicht mehr FaceTime-orientiert

 Chance für neue smarte Arbeits- und Geschäftsmodelle:  Veränderte Anforderungen an Größe, Lage und Funktionalität des klassischen Büros werden durch neue Arbeitsortkonzepte kompensiert

 Gewonnenes Wahlrecht des Arbeitsorts erfordert die räumliche Verknüpfung von Arbeits- und Freizeitaktivitäten, die Grenze zwischen klassischen Wohn- und Arbeitsorten verschwimmt

 Das Büro wird der Ort, um Unternehmenskultur zu erleben und Flexibilität zu verankern

 Geringerer Büroflächenbedarf muss durch flexible Zusatzangebote kompensiert werden; Das Home-Office bildet nur eine von vielen Arbeitsortalternativen (Hub-Club, Distance-Offices)

 Zunahme dynamischer Prozesse und Projektarbeit in gemischten Teams (intern und extern) erfordern fließende Grenzen „Blurring Boundaries“ zwischen exklusiv (intern) und inklusiv (intern und extern) genutzter Flächen (Co-Working, Flex-Office, Lounges).

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