Interview mit Christian Brüggemann, Leiter Angebotskalkulation der Hectas Gebäudedienste

Das PPP-Projekt „JVA Bremervörde“

Auf dem ehemaligen Kasernengelände in Bremervörde entsteht zurzeit eine neue Justizvollzugsanstalt, in der 300 Haftplätze für männliche ­Erwachsene vorgesehen sind. Privater Partner des Landes Niedersachsen ist die BAM PPP (lesen Sie hierzu auch FACILITY MANAGEMENT 1/2011, S. 9). Christian Brüggemann, Leiter Angebots­kalkulation bei Hectas, beschreibt worin die Herausforderungen bei einem Public Private Partnership-Projekt liegen.

Herr Brüggemann, die Planung und Bauausführung wird von der BAM Deutschland AG, vorgenommen. Den späteren Betrieb der Haftanstalt verantwortet die BAM Immobilien-Dienstleistungen GmbH (BAM ID) zusammen mit Hectas als Partner für alle infrastrukturel­len Gebäudedienstleistungen. Wie lautete die Ausschreibung?

Christian Brüggemann: In einer eu­ro­paweiten Ausschreibung suchte das Land Niedersachsen ab Frühsommer 2009 private Unternehmen für den Bau, die Finanzierung und den späteren Betrieb einer neuen JVA mit insgesamt 30.000 m² Gebäudefläche. Die Laufzeit des PPP-Projekts ist auf 25 Jahre ausgelegt.

 

Ist es üblich, dass Justizvollzugs­an­stal­ten in öffentlich-privater Partnerschaft entstehen?

Brüggemann: Im angloamerikanischen Raum ist es bereits gängige Praxis, dass beispielsweise Gefängnisse privat betrieben werden. In Deutschland ist die JVA Bremervörde erst die dritte teilprivatisierte Haftanstalt. Generell wird die Zahl von PPP-Projekten hierzulande sicherlich weiter steigen, insbesondere im Hinblick auf Schulen und Kindergärten.

 

Und wo liegen die Vorteile einer öffentlich-privaten-Partnerschaft?

Brüggemann: Der Vorteil solcher Partnerschaften ist die Arbeitsteilung. Der private Partner erbringt Leistungen, auf die er spezialisiert ist, unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Faktoren, und die öffentliche Hand behält die gesellschaftlichen Ziele im Auge. Für den ­Hoheitsträger, in diesem Fall das Land Niedersachsen, liegt der entscheidende Vorteil in der permanenten Kostentransparenz und Kostenkontrolle. Private ­Unternehmen sichern sich dadurch langfristig eine sichere Einnahmequelle.

Das Besondere bei der Zusammenarbeit der öffentlichen Hand und Privatwirtschaft ist der Weitblick und die Präzi­sion bei der Planung. Wir haben uns von Anfang an regelmäßig mit den Verantwortlichen unseres Partners BAM ID, der BAM Deutschland AG und deren Architekten, Elektro- und Sanitärfachleuten und Dienstleistern für technische Gebäudedienste zusammengesetzt und haben uns sehr früh und intensiv mit Details beschäftigt. Es ist faszinierend, aber auch komplex, bereits in der Angebotsphase so in die Tiefe zu gehen und ein umfangreiches, langfristig ausgerichtetes Vertragswerk aufzusetzen bevor der Grundstein überhaupt gelegt ist. Da geht es um architektonische Rahmen­bedingungen wie Raumaufteilung, Belastbarkeit von Lagerflächen und vieles mehr. Aus jeder Frage oder Entscheidung ergeben sich neue. Sämtliche Aspekte müssen im Angebot exakt kalkuliert sein. Denn ist das Budget einmal fixiert, stellt das Land kein zusätzliches Kapital mehr zur Verfügung.

 

Wie verlief der Bewerbungs­prozess im Fall der JVA Bremervörde?

Brüggemann: Die BAM ID ist durch Empfehlung eines gemeinsamen Partnerunternehmens auf uns aufmerksam geworden und hat den Kontakt zu uns aufgenommen. Kurze Zeit später trafen sich Vertreter beider Unternehmen zu ersten Gesprächen, um die Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuta­rieren. Nach eingehender Analyse der ­jeweiligen Leistungsfähigkeit wurde ­definiert, wie sich das geforderte Leistungsspektrum auf Hectas und BAM ID verteilen lässt. Beide Seiten waren schnell überzeugt, dass die Chemie stimmt und man sich dieses anspruchsvolle Gemeinschaftsprojekt zutraut. Das ist wichtig. Denn wenn zwei Partnerunternehmen sich für 25 Jahre an einander binden, ist eine harmonische, enge ­Zusammenarbeit das A und O.

Schließlich sind die BAM Deutschland AG mit BAM Immobilien-Dienstleistungen und Hectas mit einem abgestimmten Betriebskonzept gemeinsam angetreten. In einem größeren Teilnahmewettbewerb hat das Land Nieder­sachsen zunächst leistungsfähige Unternehmen identifiziert, um dann einen engen Kreis von fünf Bieterkonsortien auszuwählen, die für den Bau und Betrieb der JVA geeignet erschienen. Im Laufe der Ausschreibung wurden die Bedingungen mehrmals geändert, das Anforderungsprofil wurde erweitert oder präzisiert. So waren alle Bieter aufgefordert, ihr Angebotskonzept kurzfristig anzupassen. Dabei waren Ausdauer und Lösungskompetenz gefragt. Am Ende konnte unser Konsortium mit seinem Konzept überzeugen.

 

Wofür ist Hectas in der JVA zuständig?

Brüggemann: Wir bringen bei diesem Projekt fast unser gesamtes Portfolio ein, von Reinigungsdiensten über vielfältige infrastrukturelle Gebäudedienstleistungen bis hin zu nicht hoheitlichen Sicherheitsdiensten, also solche, die nicht zwingend vom Träger der öffentlichen Hand ausgeführt werden müssen. Da­rüber hinaus erbringen wir diverse Zusatzleistungen, um die wir unsere Angebotspalette speziell für diesen Auftrag erweitert haben. Aufgrund unserer ­Größe war es uns möglich, auch außergewöhnliche Disziplinen mit abzudecken.

 

Hectas erbringt demnach die Reinigung im gesamten Objekt?

Brüggemann: Ja, bis auf wenige Ausnahmen. Für die Ordnung und Sauberkeit in den Zellen sind die Häftlinge selbst zuständig. Die Reinigung aller ­sicherheitskritischen Bereiche, die für Häftlinge nicht zugänglich sind, wie Verwaltungsbüros, Kammer oder Technik- und Lagerräume, übernehmen unsere Fachkräfte. Bei der Reinigung frei zugänglicher Räume wie der Spülküche oder der Sporthalle wird unser Personal von den Häftlingen unterstützt. Denn wir sind vertraglich verpflichtet, eine gewisse Anzahl von Gefangenen zu beschäftigen, zum Beispiel auch bei den Gärtnerdiensten. Denn die Reinigung der Außenanlagen und die Grünflächen­pflege gehören ebenfalls zu den von uns erbrachten Dienstleistungen.

Außerdem betreiben wir die Wäschekammer der JVA, in der Bettwäsche, Handtücher oder Sportbekleidung gewaschen werden. Jedes Teil wird etikettiert, damit es später zugeordnet werden kann. Dann erhält der Gefangene seine Wäsche hygienisch sauber und eingeschweißt zurück. Die Reinigung ihrer privaten Alltagskleidung übernehmen die Inhaftierten in der Regel selbst mithilfe von münzbetriebenen Waschmaschi­nen in den Waschräumen der Stationen.

Können Sie Beispiele für die genannten Zusatzleistungen nennen?

Wir sind zum Beispiel für die Verpflegung zuständig und betreiben die Küche und die Cafeteria. Im Bereich Catering und Küchendienst haben wir bereits Erfahrung. Zu den neu hinzugekommenen Leistungen zählt der Gefangeneneinkauf, den wir koordinieren werden. Dabei können die Gefangenen vom Schokoriegel über Zigaretten bis zur Zeitschrift verschiedene Verbrauchsmaterialien ­bestellen. Außerdem werden wir einen Friseur und eine Bibliothek betreiben, in der die Häftlinge Bücher, CDs und DVDs ausleihen sowie Fernsehgeräte und Radios mieten oder kaufen können. Zu den Verwaltungshilfsdiensten gehört auch die Zahlstelle. In der JVA laufen alle Einkäufe bargeldlos per Katalogbestellung, während die von uns betriebene Zahlstelle das Konto und die finanzielle Situation des Gefangenen kontrolliert. Und eine weitere Aufgabe ist der Betrieb der Kammer. Hier erhalten die Gefangenen ihre Grundausstattung. Dabei ist strikt vorgegeben, an wen was und wie viel ausgegeben werden soll.

 

Und welche Sicherheitsauf­gaben übernimmt Hectas?

Brüggemann: Unsere Fachleute für Schutz und Sicherheit führen regelmäßige Kontrollgänge durch und begleiten die Gefangenen auf Wegen innerhalb der JVA und auf dem Außengelände. Die Durchsuchung der Häftlinge und jegliche Aufgaben, die Körperkontakt zu ihnen erfordern, sind ausschließlich den Beamten gestattet. Wir unterstützen insbesondere die Besuchersteuerung. Das bedeutet, die Besucher werden an der Pforte empfangen und überprüft, sie ­erhalten Besucherausweise, ihre Jacken und Taschen werden eingeschlossen und vieles mehr. Unsere sicherheitsorientier­ten Leistungen werden im laufenden ­Betrieb nach Bedarf erweitert.

 

Worin liegt bei all diesen Aufgaben die größte Herausforderung?

Brüggemann: Eine besondere Herausforderung tragen wir vor allem bei dem Thema Sicherheit und den vielen Facetten, die es hier zu berücksichtigen gilt. Es muss alles genau durchstrukturiert sein, es darf nichts Unvorhersehbares passieren. Wie kann verhindert werden, dass ein Häftling ein Messer aus der Küche stiehlt? Was passiert, wenn ein Gefangener die Beherrschung verliert und den Leihfernseher beschädigt? Was ist mit Schadensersatzforderungen? Wie kann sichergestellt werden, dass kein Missbrauch mit Chemikalien, wie Waschpulver, getrieben wird? Diese und unzählige weitere Fragen mussten wir uns vorab stellen, verschiedene Szena­rien durchspielen und entsprechende Lösungen finden. Aber die zentrale Herausforderung besteht sicherlich darin, verlässliche Mitarbeiter für alle strategischen und operativen Aufgaben zu finden. Mit der Personalauswahl haben wir schon begonnen.

 

Wie wird sich Hectas personell aufstellen?

Brüggemann: Für den neuen Auftrag wird die Hectas Niederlassung Bremen, die das Projekt in Bremervörde betreut, zusätzliches Personal einstellen. Unser Niederlassungsleiter Michael Stöber wird sein Team um 35 Mitarbeiter erweitern. Einige Stellen sind bereits ausgeschrieben und es werden bald erste Bewerbungsgespräche mit potentiellen Führungskräften geführt. So suchen wir schnellstmöglich einen Objektleiter für die JVA, den wir frühzeitig mit dem Objekt vertraut machen werden und der dann die gesamte Projektsteuerung übernimmt. Er wird dann der feste Ansprechpartner für unseren Partner BAM ID sowie den Auftraggeber und Nutzer.

 

Benötigen die operativen Mitarbeiter eine spezielle Ausbildung?

Brüggemann: Die Bewerber müssen natürlich die nötige fachliche Qualifikation und Erfahrung mitbringen, insbesondere die Sicherheitsfachkräfte. Wenn wir das Team zusammengestellt haben, durchlaufen die Mitarbeiter verschiedene Sicherheitsüberprüfungen. Ist hier nichts zu beanstanden, werden anschließend alle in einer anderen JVA geschult, um den laufenden Betrieb kennenzulernen. Die praktische Schulung dauert sechs Wochen und wird vom Land Niedersachsen organisiert. Unmittelbar vor der Inbetriebnahme der neuen JVA folgt für weitere anderthalb Monate eine Intensivschulung vor Ort. Danach ist die Mannschaft für die Tätigkeiten im Objekt gerüstet.

 

Wie ist der aktuelle Stand beim PPP-Projekt Bremervörde?

Brüggemann: Die alten Gebäude auf dem Kasernengelände sind abgerissen und die Vorarbeiten für die Errichtung der Haftmauer laufen. Es finden regelmäßig Baubesprechungen statt, bei denen die Verantwortlichen der „BAM PPP Bremervörde Beteiligungsgesellschaft mbH“ mit HECTAS zusammenkommen, um weitere Entscheidungen zu treffen. Wo werden auf dem Außengelände Wasseranschlüsse zur Bewässerung der Grünanlagen installiert? In welcher Höhe werden Steckdosen angebracht? Von welchem Hersteller werden Möbel angeschafft? Solche operativen Fragen stehen nun auf der Tagesordnung. Im Zuge dessen führen wir gerade Verhandlungsgespräche mit Nachunternehmen vor Ort: mit Friseuren, Buchhändlern, Wäschereien, Handwerkern oder Lebensmittelhändlern. Es werden eine Reihe regionaler Aufträge vergeben. Zum 1. Januar 2013 soll der erste Häftling die JVA beziehen. Bis dahin gibt es noch manche Aufgabe zu lösen. Und wenn die Haftanstalt dann ihrer Bestimmung übergeben wird, beginnt unser eigentlicher Auftrag.

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