Hilfestellung zur Interpretation der BetrSichV

Sichere Aufzüge –
auch ohne Nachrüstung

Facility Manager müssen bei Personen- und Lastenaufzügen den nicht immer einfachen ­Spagat zwischen Betriebssicherheit und Kosteneffizienz bewältigen. Die im Juni 2015 novellierte Fassung der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) sollte diese Aufgabe verein­fachen, warf jedoch Fragen auf: Muss der Aufzug nachgerüstet werden, um sicher zu sein?

In etwa dieser Lesart interpretieren ­einige Marktteilnehmer die neue Verordnung: Ältere Aufzüge seien nachzurüsten, damit sie dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. Doch in vielen Fällen trifft diese pauschale Aussage nicht zu. Die BetrSichV fordert konkret nur, dass die Aufzüge sicher verwendet werden können. Und dies lässt sich durch verschiedene, oft kostengünstigere Maßnahmen realisieren.

Störungen in der Technischen Gebäudeausrüstung können nicht nur zu erheb­lichen Beeinträchtigungen im täglichen Betriebsablauf führen. Im Falle von Personen- und Lastenaufzügen kommt hinzu, dass bei Zwischenfällen – sowohl beim „normalen“ Transport als auch bei Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten oder Befreiungsmaßnahmen – Personen gefährdet werden können. Das FM steht gegenüber seinen ­internen oder externen Auftraggebern in der Pflicht, die Gefährdungspotenziale zu analysieren und geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen. Gleichzeitig sollen jedoch auch die daraus resultierenden Kosten in einem vertretbaren, nachvollziehbaren Rahmen bleiben.

Die rechtliche Grundlage für die Sicherheitsanforderungen an Aufzüge legt die BetrSichV in der aktuellen Fassung vom Juni 2015 fest. Mit Inkrafttreten der damals neuen Fassung wollte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) den Aufzugbetreibern die Umsetzung der Verordnung erleichtern. Doch auch zwei Jahre nach Inkrafttreten besteht immer noch Klärungsbedarf, da die verschiedenen Akteure – Hersteller, Wartungsfirmen, Betreiber und Facility Management – den Text der Verordnung zum Teil sehr unterschiedlich interpretieren.

Streitpunkt „Stand der Technik“

Im Mittelpunkt der Diskussionen steht meist der Begriff „Stand der Technik“. ­Einige Marktteilnehmer interpretieren die BetrSichV so, dass alle Aufzugsanlagen dem aktuellen Stand der Technik entsprechen müssen. Tatsächlich fordert die Neufassung der Verordnung jedoch nur, dass der Betreiber dafür sorgt, dass „die Verwendung“ (!) der Aufzugsanlage nach dem Stand der Technik sicher ist. Es liegt also nicht in der Intention des BMAS, alle alten Aufzugsanlage an den heutigen Stand der Technik anzupassen, indem sie zwingend gegen neue Systeme ausgetauscht oder nachgerüstet werden. Vielmehr soll durch die Verordnung sichergestellt werden, dass die im Einzelfall hohen Gefährdungen, die von Aufzügen älterer Bauart ausgehen können, auf ein akzep­tables Maß reduziert werden.

Was heißt dies für ältere Aufzuganlagen, zum Beispiel aus den 60er Jahren? Diese entsprechen heute – im Gegensatz zum Zeitpunkt des Einbaus – natürlich nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik. Müssen diese Aufzüge nun laut novellierter BetrSichV stillgelegt werden? Oder ist eine Modernisierung unumgänglich? Und wie steht es mit vergleichsweise modernen Aufzugsanlagen, die zum Beispiel vor fünf Jahren in Betrieb gingen? Müssen diese den sicherheitstechnischen Weiterentwicklungen Rechnung tragen und modernisiert werden, um dem heutigen Stand der Technik zu entsprechen? Um es gleich vorwegzunehmen: In den allermeisten Fällen lautet die Antwort auf ­diese ­Fragen „nein“.

Nachrüstung – Ja oder Nein? Zwei Beispiele

Eine zentrale Forderung der neuen BetrSichV ist, dass der Betreiber feststellen muss, dass der Aufzug sicher verwendet werden kann. Dazu soll laut Verordnung eine Gefährdungsbeurteilung bzw. eine Sicherheitsanalyse erstellt werden. Dies wird in den aktuellen Diskussionen jedoch meist nicht gebührend berücksichtigt. Die Analyse soll im konkreten Einzelfall Gefährdungsursachen aufdecken, analysieren und das Sicherheitsniveau bewerten. Ist das Gefährdungspotenzial inakzeptabel hoch, müssen Maßnahmen identifiziert und umgesetzt werden, die das Sicherheitsniveau steigern. Welche Maßnahmen zielführend sind, hängt vom Einzelfall ab, wie die folgenden ­beiden Beispiele zeigen.

Bis 1972 war eine Mindestraumhöhe von 1,80 m für die Triebwerksräume von Aufzugsanlagen vorgeschrieben. Würde der Aufzug heute neu gebaut, wäre diese Höhe aus Sicherheitsgründen nicht mehr ausreichend. Allerdings würde bei älteren Anlagen eine Anpassung der Raumhöhe unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen. Daher kann es in diesem Fall ausreichen, organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um das Gefährdungspotenzial zu verringern. Zum Beispiel, indem Schilder auf die mit der niedrigen Deckenhöhe verbundenen Gefahren hinweisen und das Personal mit persönlicher Schutzausrüstung wie z.B. Schutzhelmen ausgestattet wird.

Anders gelagert ist der Fall bei einem Lastenaufzug, der vor der Jahrtausendwende in Betrieb genommen wurde. Dieser wurde damals noch nicht mit ­einer Fahrkorbtür ausgestattet, wie es heute gefordert wird. Mitfahrendes Personal ist somit Gefährdungen durch Quetschungen oder Scherungen an der offenen Fahrkorbseite ausgesetzt – insbesondere dann, wenn gleichzeitig Lasten transportiert werden, die umkippen oder verrutschen können. Hier genügt es nicht, durch Schilder oder Unterweisungen auf die Gefahr hinzuweisen. Stattdessen muss eine Fahrkorbtür nachgerüstet werden oder ggf. eine alternative technische Schutzmaßnahme, wie z.B. ein „Lichtvorhang“, realisiert werden.

Maßnahmen auswählen nach dem TOP-Prinzip

Wie diese beiden Beispiele zeigen, lässt sich das Sicherheitsniveau der Aufzugsanlagen durch verschiedene Maßnahmen verbessern. Wichtig ist, dass bei der Auswahl das sogenannte TOP-Prinzip angewandt wird. Dies besagt, dass als erstes technische Maßnahmen in Betracht gezogen werden müssen (z. B. Lichtvorhang installieren). Sollten diese mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden oder im Einzelfall nicht umsetzbar sein, können auch organisatorische Maßnahmen geprüft werden (z. B. Beschilderungen) oder auch Kombinationen aus technischen und ­organisatorischen Maßnahmen.

Grundsätzlich ist der Betreiber* dafür verantwortlich, adäquate Maßnahmen zu identifizieren und umzusetzen, um die Gefährdungen auf ein akzeptables Maß zu reduzieren. „Betreiber“ kann, je nach Vertragslage, auch das Facility Management sein. Die zugelassene Überwachungsstelle (ZÜS) prüft die Aufzugsanlagen in definierten Intervallen. Wird festgestellt, dass die Anlage bis zur nächsten wiederkehrenden Prüfung nicht sicher verwendet werden kann, dokumentieren die Sachverständigen die festgestellten Mängel in der Prüfbescheinigung. Die daraus resultierenden erforderlichen Maßnahmen werden ebenfalls von der ZÜS auf ihre Eignung und Wirksamkeit überprüft.

Im Zweifel ZÜS hinzuziehen

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich aus der Novelle der BetrSichV mit der Forderung zur sicheren Verwendung von Arbeitsmitteln nicht ableiten lässt, dass die Betreiber mehr Verantwortung tragen oder einem höheren Haftungsrisiko ausgesetzt sind. Wie schon von der Vorgängerversion sind die Betreiber verpflichtet zu klären und zu dokumentieren, ob der Aufzug sicher ­betrieben werden kann oder Handlungs­bedarf besteht. Da die dazu notwendige Expertise oftmals nicht im Unternehmen vorhanden ist, empfehlen die Sachverständigen von TÜV Süd, im Zweifelsfall eine zugelassene Überwachungsstelle ­
mit der Erstellung einer unabhängigen ­Sicherheitsanalyse zu beauftragen. Im Gegensatz zu anderen Marktteilnehmern, die ähnliche Dienstleistungen anbieten, habend die ZÜS kein wirtschaftliches Interesse daran, Aufzugsanlagen auszutauschen oder nachzurüsten. Betreiber können somit sicher sein, von neutraler Stelle zu erfahren, welche Gefährdungen vorliegen und wie diese vom Risiko her einzustufen sind.

Weitere Informationen

Erste Hinweise und Informationen enthält der „Leitfaden zur sicheren Verwendung von Personen- und Lastenaufzüge nach dem Stand der Technik“ vom Verband der TÜV e. V. (VdTÜV). Den Leitfaden und weitere Informationen zur BetrSichV finden Sei auf
www.tuev-sued.de/betriebssicherheit

Einen Beschluss des Erfahrungsaustauschkreises der Zugelassenen Überwachungsstellen (EK ZÜS) vom 26.04.2017 zum Arbeitsgebiet Aufzugsanlagen finden Sie unter www.vdtuev.de/themen/anlagensicherheit/erfahrungsaustausch_zues/ek_zues_­beschluesse/pdokliste?oid=98166

Darin werden Schutzmaßnahmen zur sicheren Verwendung von Aufzugsanlagen nach dem Stand der Technik bewertet.

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